Vom Mann zum Symbol: der Häftling Schubart

zum Anhören: Der Häftling Schubart

Schubarts scharfzüngige Kritik am absolutistischen System, verbunden mit einer hohen publizistischen Wirkung führten den württembergischen Herzog Carl Eugen 1777 schließlich dazu, Schubart ohne Anklage, ohne Prozess und ohne Urteil einzukerkern. Das erste Jahr verbrachte er in völliger Isolation. Vier Jahre lang durfte er weder lesen noch schreiben; nach acht Jahren wurden seine Frau und Kinder erstmals zu ihm zugelassen. Trotz dieser widrigen Umstände entstanden in dieser Zeit Schubarts bekanntesten Gedichte.
 
Während der fast zehn Jahre andauernden Haft zwischen Februar 1777 und Mai 1787 setzten sich zahlreiche Freunde und einflussreiche Mittelsmänner für Schubarts Freilassung ein, darunter Goethe, Schiller und Herder. Schnell wurde er von Gleichgesinnten in ganz Deutschland als Märtyrer der freiheitlichen Ideale und als bekanntestes Opfer der Justizwillkür gefeiert.
 
Dem öffentlichen und politischen Druck nachgebend, ordnete Carl Eugen im Frühjahr 1787 schließlich Schubarts Freilassung an. Er verschaffte ihm den Posten des Direktors am Stuttgarter Hoftheater sowie den Titel des Herzoglich Württembergischen Hof- und Theaterdichters. Schubart erhielt außerdem die Erlaubnis, seine vor der Haft häufig zensierte Deutsche Chronik unter neuem Namen, als Vaterländische Chronik, erneut herauszugeben. Bei seinem Amtsantritt – seiner letzten Stelle – wurde Schubart wie ein Volksheld von den Stuttgartern empfangen.

zum Anhören: Der unbürgerliche Bürger

Der neue württembergische Hof- und Theaterdichter Schubart machte im Herbst 1787 auf einer Durchreise von Stuttgart nach Ulm ein letztes Mal in Geislingen halt. In einem Brief vom 18. November 1787 schrieb er seinem Sohn Ludwig gerührt von der überschwänglichen und tränenreichen Begegnung mit ehemaligen Weggefährten:
 
„In Geislingen war die ganze Stadt im Aufruhr, als mein Wagen am Zollhause still hielt. Unser guter Ahnherr [Schubarts Schwiegervater Hauptzoller Bühler] stand in der Verklärung der Freude mit Silberlocken umflossen am Kutschenschlage, und die Ahnfrau zitterte unter der Haustür, vom Gewichte des Muttergefühls belastet. Bald umrauschten mich die jüngern Freunde alle mit ihren Weibern und Kindern, und ich griff da nach einer Hand, ließ dort eine sinken, um der andern ausgestreckte liebebebende Hände auch zu fassen.
 
Drei Tage blieb ich in Geislingen und schlief da wenig Stunden, um wachend all die Lieb‘ und Freundschaft zu genießen, die man mir da so reich und mit so unnachahmbarer schwäbischer Treuherzigkeit erwies. (…) Die Zollstube war öfters so voll, dass man kaum stehen konnte, und vor den Fenstern drängten sich andre Scharen zusammen, um mich zu sehen und zu hören; denn ich und das Julchen sangen da Volkslieder und Choräle, mit des alten Kantors Flügel begleitet. Eine rührende Szene war’s, als sich im Ochsen meine ehemaligen Schüler um mich her stellten und mir mit Tränen für den ehmals genossenen Unterricht dankten. (…)
 
Dein Name, Herzenssohn, wurde da oft genannt, und beim lautschallenden Mahle deiner Gesundheit getrunken. Dem Altvater schimmerte immer der Blick, wenn er den Namen Ludwig aussprach. – Der Abschied war trüb und traurig; denn wahrscheinlich sah ich den redlichen Alten und seine sorgliche Hausmutter zum letztenmal in diesem Leben.“
 
 
in: Bernd Jürgen Warneken, Schubart: Der unbürgerliche Bürger, Frankfurt/Main 2009, S. 332–333.