Geislingen und Schubart: Eine Hassliebe
Im Herbst 1763 bewarb sich Schubart von Aalen auf die Stelle als Hilfslehrer in Geislingen weg, um von seinen Eltern finanziell unabhängig zu sein. Dort lebte er fast sechs Jahre und gründete eine Familie. Und dennoch fühlte er sich in Geislingen, einer sich überwiegend aus Handwerkern zusammensetzenden Kleinstadt auf dem Territorium der Reichsstadt Ulm, geistig eingeengt. 1767 schrieb er seinem Schwager: „Hier in Geislingen passiert nichts. Eine ewige langweilige Monotonie liegt auf uns und macht, daß ein Narr den andern angähnt.“
Was Schubart in Geislingen vor allem vermisste, war der geistige Austausch. Er fand allerdings im Obervogt Irenäus Germanus von Baldinger einen Gönner, der ihm erlaubte, seine Privatbibliothek zu nutzen. Dort holte sich Schubart wichtige Anregungen für sein literarisches Wirken. Und so kann seine Geislinger Zeit aus literarischer Sicht durchaus als fruchtbare Zeit betrachtet werden, in der etwa die Gedichtsammlungen Die Baadcur, Zaubereien und Todesgesänge entstanden und veröffentlicht wurden.
Trotz dieser widrigen Umstände verklärte Schubart rückblickend in seiner Autobiografie seinen Abschied aus Geislingen im Jahr 1769, denn „[u]nter tausend Thränen, durch den langen Reihen meiner lieben Schüler hindurch, von vielen beschenkt, und allen gesegnet, und mit schwerem Herzen fuhr ich von Geißlingen ab (…).“
In seiner Zeit als Lehrer in Geislingen verfasste Schubart zahlreiche Schuldiktate, die die Stadt und ihre Bewohner mit viel Ironie umschrieben. Diese Texte dienten ihm als Ventil, um mit der von ihm empfundenen geistigen Enge der Kleinstadt umzugehen.
Eines davon lautet wie folgt:
den 11. Jener
Lieber Bruder!
Du hast neulich geglaubt, es befinden sich mehr als 6000 Personen in Geißlingen, aber Du hast neben die Scheibe geschossen. Ich und andere meiner Kameraden haben alles in Geißlingen bei Buzen und Stiel gezehlt, und doch nicht mehr herausgebracht als 1541 Personen. So sieht man oft einen Beutel für voll an und ist nichts drinnen. In Geißlingen könnten sich würklich 20 bis 30 000 Personen aufhalten. Doch wollte ich lieber ein Sclav in Tripolis seyn, als ein Bürger in Geißlingen. Deßwegen sind auch wenig Einwohner hier. Dieses kann ich Dir mit Wahrheit berichten. Lebwohl und vergiß nicht
Deinen Freund und Diener
N.N.
in: Günther Currle / Hartmut Gruber, Christian Friedrich Daniel Schubarts Geislinger Schuldiktate, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Geislingen, Band 9, 2. Auflage, Geislingen an der Steige 1993, S. 48.