Schubart als Lehrer in Geislingen

zum Anhören: Schubart als Lehrer in Geislingen

Im Herbst 1763 bewarb sich Schubart auf die Stelle als Hilfslehrer in Geislingen. Im alten Schulhaus, im Schatten der Stadtkirche, unterrichtete er dort stellvertretend für den kränkelnden Präzeptor Wilhelm Georg Röbelen vom 26. Oktober 1763 bis zum Sommer 1769 an die 100 bis 150 Schüler. Seine Bedingung bei Stellenantritt, zumindest die Elementarschüler, also die Grundschüler, nicht unterrichten zu müssen, wurde ihm verwehrt.
 
Seine Erfahrungen fasste er in seiner Autobiographie (1791/93) mit folgenden Worten zusammen: „Meine Schule sah einem Stall ähnlicher, als einem Erziehungshause für Christenkinder. Über hundert Schüler, roh und wild wie unbändige Stiere wurden mir auf die Seele gebunden. Ein Schulmeister? Lieber bei Wasser und Brot im Zuchthaus, als seiner Lebetag menschliche Säue hüten.“
 
Ein Ventil für die von Schubart empfundene geistige Enge der Kleinstadt waren die von ihm für seine Geislinger Schüler verfassten beißenden und provokanten Schuldiktate. Das Bild „Die Dorfschule“ von Johann Peter Hasenclever, zeigt, dass knapp 100 Jahre später auch der Künstler einen ähnlich ironischen Blick auf die Schulen des ländlichen Raums warf wie Schubart vor ihm.

zum Anhören: Christian Friedrich Daniel Schubarts Geislinger Schuldiktat

Geißlingen, den 3. Oktbr. 1767


Meine Herren!
 
Heute sollt Ihr Euch in der Orthographie exerciren. Was sagt Meister Hobelspahn, Orgelgraphie? Bue, bleib aus der Schul. Wann dein Name schreiben kannst, so ist’s Genug. – So, Meister Hobelspahn, so wollt Ihr denn Euren ansehnlichen Eselsnamen bis auf Kind und Kindeskinder fortpflanzen. – Doch, da kommt Meister Spitznaß, drückt seinen Hut in’s Ohr und spricht mit einem politischen Frazengesichte: Meint denn der Herr, er sey allein gescheid, da lese nun einmal den Brief.

Geißlingen, den 3. Oktbr. 1767

Hochgeöhrtester Herr!

Gott zum Gruß! Weil mein Weib, Zusel Spitznase, in die Kindbett gekommen, so hat sie einen hübschen Buben gekriegt, der giebt en Kerls. Er hat schon einen Kopf, wie ein pommerischer Ochs. Ich habe den Hochgeöhrtesten Herrn fragen wollen, weil der Hochgeöhrteste Herr mein Patrones ist, ob der Hochgeöhrteste Herr Gevatter stehen möchte. Hier schicke dem Hochgeöhrtesten Herrn ein Schächtelchen Zwetschgen und bitte, mit dieser Spendirung vor Lieb zunehmen. Unter dienstfreundlicher Salucion allstets verharrend meines Hochgeöhrtesten Herrn Gevatters

dienstwilliger
Michel Spitznaß

Ei, ei, Meister Spitznaß, da ist ja kein Wortrecht. Hochgeehrter mit einem ö ist ein Ding, das lange Ohren hat, folglich heißt er ja seinen Gevattermann einen Esel. – Doch, meine Söhne, laßt euch durch solches Geschwätz nicht irre machen. Les’t, und was ihr les’t, les’t recht; sprecht, und was ihr sprecht, sprecht recht; schreibt, und was ihr schreibt, schreibt recht.
 
Wer nicht lesen kann
Und nicht richtig schreiben,
Wird ein dummer Mann,
Bis an’s Ende bleiben.

in: Günther Currle / Hartmut Gruber, Christian Friedrich Daniel Schubarts Geislinger Schuldiktate, Veröffentlichungen des Stadtarchivs Geislingen, Band 9, 2. Auflage, Geislingen an der Steige 1993, S. 29.